Humoreske von Dora Duncker
in: „Bonner Zeitung” vom 1.2.1896,
in: „Aachener Anzeiger” vom 7., 8., 10.3.1896
„Weiberschnack! Weiberschnack! Ich denke gar nicht daran, das Mädel diesem unbekannten Menschen so ohne weiteres zur Frau zu geben.”
„Aber die Schwägerin, deine leibhaftige Schwester, sagt mir doch —”
„Die alte Schachtel soll mir vom Leibe bleiben. Dazu giebt man ihr das Kind ins Bad mit, daß sie's einem so nach Hause bringt.”
„Väterchen, Herr Bauer soll wirklich ein sehr ordentlicher Mensch sein, und sein Geschäft am Markt — —”
Herr Gottlieb Fallbein stampfte mit dem Fuße auf.
„Das ists ja eben — ich habs nicht nötig und ich wills nicht, daß meine einzige Tochter in ein offenes Geschäft und noch dazu in ein solches Nest heiratet.”
Grollend wandte er sich ab und mit einem heftigen Ruck wieder herum, als er die Hand seiner Frau leise tätschelnd auf der Schulter fühlte.
„Du, Gottlieb, denk doch mal ein bischen nach, haben wirs anders gemacht, hm? Haben wir nicht auch in einem kleinen Nest mit einem offenen Geschäft angefangen, das ebenfalls am Markt lag. Und waren wir nicht zufrieden, ja überglücklich in dem engen Laden mit den zwei kleinen Hinterzimmern, und haben wir uns nicht tausend und tausendmal gesagt, daß das eigentlich die schönste Zeit unseres Lebens gewesen ist!”
Herr Gottlieb Fallbein brummelte etwas in seinen stattlichen Vollbart, wovon seine Frau nur die Worte „bessere Zeiten damals” verstand.
„Bessere Zeiten? Das glaubst Du ja selber nicht, Alterchen! Wenn zwei Leute jung sind und sich lieb haben, ists allemal die beste Zeit.”
Herr Fallbein zwang seine wuchtige Persönlichkeit zu einer ironisch devoten Verbeugung.
„So? Und wenn man fragen darf, ist Euch in Eurem Weiberkonsilium gar nicht einmal der Gedanke gekommen, daß dieser Mensch, dieser — diese Badebekanntschaft, ein Windhund, ja vielleicht schlimmeres, — ein Schwindler sein könnte, der es nur auf unser bischen Erspartes abgesehen hat, über das die Schwatzliese und Schwester den Mund voll genommen haben wird. Na, ähnlich säh's Euch mit Euren Spatzengehirnen.”
„Brr, Alter, Du machsts aber heute gut. Wenn Du so viel Mißtrauen hegst, so fahr doch hin und sieh Dir Herrn Bauer und sein Geschäft an. Thüringen liegt ja nicht im Mond, und Du bist den ganzen Sommer nicht herausgekommen.”
„Braucht man auch nicht, wenn man die Ehre und das Glück hat, in Berlin zu leben. Im übrigen ein für alle Mal, ich will von dem Kerl, dem Materialisten in Posemuckel, nichts mehr hören — daß Du Dir's merkst, Luise, und es auch der Elli einbläust! Es wird nichts darans — ich wills nicht und damit basta!”
Frau Luise sah dem Davonstürmenden nicht allzu beunruhigt nach. Sie kannte ihren Alten und seinen rasch erregten Zorn ja nun durch zwanzig Jahre; sie wußte, wie leicht er aufbrauste, wenn es das Wohl und Weh eines seiner Lieben galt.
Elli, die zunächst Beteiligte, nahm des Vaters schroff abweisende Haltung allerdings etwas weniger gelassen auf. Sie weinte sich die hübschen graublauen Augen rot, schrieb bogenlange Briefe voll Verzweiflung an ihren Auserkorenen — die der ferne Freund ebenso lang und nicht minder verzweifelt unter der Adresse der das Bündnis gnädig beschirmenden Tante beantwortete — ging dem Vater halb scheu, halb trotzig aus dem Wege und machte ein Gesicht, wie die trübe Zeit.
Herrn Gottlieb Fallbein aber war nichts so zuwider, als betrübte oder brummige Gesichter um sich zu sehn. Je lieber und leichter er selbst bei jedem geringfügigen Anlaß in Zorn und Mißmut geriet, je weniger mochte er es leiden, wenn andere ihren Verstimmungen nachgaben, und so erklärte er denn eines Tages, um die Mitte September, er habe die Langeweile und Morosität im Hause satt, und werde auf ein paar Tage, wenn's ihm so beliebe, auch auf ein paar Wochen verreisen. Von der ersten Station, die er mache, würde er Nachricht geben.
Frau Luise packte schmunzelnd den Koffer ihres Mannes und wünschte ihm bei der Abreise so nachdrücklich ein günstiges Resultat, als ob es sich wie vor Jahren um eine Geschäftsreise wichtiger Art gehandelt hätte.
Aber Gottlieb Fallbein that, als ob er seine Frau nicht höre, und stieg brummend in ein Kupee zweiter Klasse des Frankfurter Schnellzugs.
Nach fünf Stunden schon war das Ziel seiner Fahrt erreicht, das thüringische „Posemuckel”, in dem der so hartnäckig Erwählte seiner Tochter sein Materialwaarengeschäft betrieb.
Herr Fallbein stieg in der „Goldenen Henne” ab.
Nach einer eiligen Mahlzeit suchte er sofort den Marktplatz und, einstweilen allerdings nur von außen, das Geschäft dieser Badebekanntschaft, dieses erbärmlichen Menschen auf, der ihm das Herz seines Kindes gestohlen hatte. —
Das Haus, in dem der Zankapfel der Familie Fallbein sich etabliert hatte, sah von außen ganz reputierlich aus, weit stattlicher als das, in dem Herr Fallbein vor Jahren sich selbständig gemacht hatte.
Das Schaufenster war geräumig und recht gediegen arrangiert, das Firmenschild sauber und anständig, die Thür nicht zu klein und die Steinstufen, trotz des vielen hin und her, das er zu beobachten Gelegenheit hatte, sauber gehalten.
„Na also”, brummte Herr Fallbein nach einer Weile des Umherschlenderns satt, „dann kann man sich ja die Chose 'mal näher ansehn! Wenn die ganze Geschichte auch nichts als Tünche sein wird, hat man doch mal wieder seine Pflicht als Familienvater erfüllt.”
Damit betrat er nicht ohne ein gewisses Würgen im Halse das vielumstrittene Geschäft von Felix Bauer Nachfolger.
Sein erster Blick fiel auf den Inhaber, den er sofort nach der Photographie erkannte, die Elli aus dem Bade mitgebracht und die er selbst voll sittlicher Entrüstung unverzüglich hinter Schloß und Riegel gelegt hatte.
Felix Bauer Nachfolger, ein ansehnlicher Mensch, so um die Dreißig herum, stand an einem Pult hinter dem Ladentisch, über ein dickes Kontobuch gebeugt. Er streifte den Eintretenden nur mit einem flüchtigen Blick, vertiefte sich dann gleich wieder in seine Arbeit und überließ es seinem Lehrling nach dem Begehr des augenblicklich allein anwesenden Kunden zu fragen.
Herr Fallbein erstand ein paar Kleinigkeiten, die er mit kritisch-mißtrauischen Blicken maß, und während der Lehrling ihm die Rechnung machte, wandte er sich nicht eben liebenswürdig, eine Auskunft über die Stadt erheischend, an den Chef, der, sobald er hörte, daß man seiner bedürfe, die Feder niederlegte und höflich Antwort gab.
Nachdem Herr Felix Bauer Nachfolger dem im Inquisitorton examinirenden Fremden über kommunale Angelegenheiten, städtische Abgaben, sanitäre Einrichtungen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Biersorten, Fleischpreise, und nicht zuletzt über die verschiedenen Möglichkeiten, sich zu amüsiren, nach bestem Wissen höflich Antwort gegeben, kam der Fremde auf das Bauer'sche Geschäft zu sprechen.
Da der Laden sich inzwischen ansehnlich mit Kundschaft gefüllt hatte, gleichzeitig aber auch der Gehilfe von einem Geschäftsgang zurückgekehrt war, ersuchte Herr Felix Bauer Nachfolger den fragelustigen Fremden, ihm zu weiterer Fortsetzung des Gesprächs in sein Privatkontor zu folgen.
Der ursprunglich völlig Harmlose war plötzlich mißtrauisch geworden. Wie, wenn er nur einem gefährlichen Konkurrenten Auskunft gab, der sich am Platz etabliren wollte? Gerade jetzt, wo er mit Rücksicht auf seine heiß geliebte, so schwer zu erringende kleine Elli der Erste sein und bleiben wollte!
Ohne von seinem plötzlich erwachten Verdacht etwas merken zu lassen, nötigte Herr Felix Bauer den Fremden auf das harte schwarze Ledersofa neben seinem Pult. Nachdem er, sorgliche Vorsicht vorschützend, noch einmal beide Thüren des kleinen Zimmers auf ihre vollständige Geschlossenheit untersucht hatte, setzte er sich dem Fremden gegenüber und fing in halblautem vertraulichem Ton auf ihn einzureden an.
„Mein werter Herr, ehe ich auf Ihre letzten Fragen bezüglich meines eigenen Geschäftes näher eingehe, fühle ich Ihrem ehrlichen Interesse unserer Stadt gegenüber die Verpflichtung, Ihnen auch ehrlich zu antworten.”
„Haben Sie das etwa bisher nicht gethan?” fuhr Fallbein auf ihn ein.
„Um Gotteswillen, mein Herr, nicht so laut, Wände haben Ohren, deshalb führe ich Sie in dieses abgeschlossene Gemach! - Was ich Ihnen zu sagen habe ist — daß ich Ihnen da drin vor den Ohren des Lehrlings und der ab- und zugehenden Kundschaft einen - mit jedem Wort einen Bären aufgebunden habe -”
„Mein Herr, das ist aber denn doch —”
„Ich bitte Sie, ich bitte Sie, mäßigen Sie die Kraft Ihres Organs,” und seine eigene Stimme bis zum Flüstern dampfend: „die Zustände hier sind erbärmlich, geradezu jammervoll, aber man darf das nicht aussprechen, sonst ist man drunter durch und verliert das elende bischen Kundschaft, auf das man angewiesen ist. Sie als Großstädter haben ja keine Ahnung, was man von diesen erbärmlichen Kleinstädtern zu leiden hat. Wenn man in ihrem Krähwinkel nicht alles schön und vollkommen findet, wird man einfach zu den Toten geworfen. Was ich Ihnen an städtischen Einrichtungen lobte, ist faul, oberfaul; die Beleuchtung, das Wasser, das Pflaster, von den beinahe mörderischen sanitären Einrichtungen ganz zu schweigen. Und die Schulen erst! Ich bitte wenn Sie — das heißt natürlich, wenn man Kinder hätte, kaum in den Anfangsgründen könnte man sie hier unterrichten lassen. Die Aerzte sind vollkommene Ignoranten, das Krankenhaus eine„schmutzige Station”, in der die Kranken sterben und verderben können, ohne daß sich einer darum kümmert, denn die mit der Pflege betrauten Schwestern verbringen dreiviertel des Tages im Beetsaal, kurz — —”
Herr Fallbein, der anfangs entrüstet darüber gewesen, daß dieser junge Mensch es gewagt hatte, ihn derartig anzusohlen, stieß einen unartikulirten Laut äußersten Wohlhehagens aus.
„Na und die Vergnügungen und Erholungen, — die Gegend ?
„Gegend, werter Herr, Gegend haben wir hier überhaupt nicht. Von weitem sieht es ja so aus, als ob Bäume auf unsern Bergen ständen, aber in der Nähe besehen, ist auch diese Sache entsetzlich öde: Stangen, schattenlose, laublose Stangen, sage ich Ihnen. Der Sonnenstich ist jedem sicher, der im Sommer hier Partien macht.”
„Und das Bier?”
„Ungenießbar. Exportbier wird in den Wirtschaften nicht gehalten, das lohnt nicht, denn sie stehen immer leer. Wir müssen mit einer wässerigen, im Orte selbst gebrauten Jauche fürlieb nehmen. Nach einem Jahr ist jedem Biertrinker hier ein unheilbarer Magen- und Darmkatarrh sicher.”
„Und das Theater?”
„Schmierenkomödie schlimmster Art. Die Julie hat voriges Jahr der junge Mann aus dem Heringsgeschäft drüben — nein nicht da — rechts im Keller, wenn ich bitten darf — gespielt — und die „Cavalleria” ist ohne Musik aufgeführt worden.”
„So, so — aber nun endlich zur Hauptsache, zu Ihrem eigenen Geschäft. Sie haben eine hübsche Lokalität, anständiges Personal und wie mir schien, eine recht gute Laufkundschaft.”
„Alles äußerlich, alles äußerlich, mein werter Herr. Nicht die Kosten werden gedeckt, und dabei ist mein Geschäft das erste am hiesigen Platze. Was wollem Sie? In den Familien wird nichts gebraucht - die Einwohner im dem Neste leben von der Luft, so schlecht sie auch ist - ich vergaß zu sagen, sie ist förmlich von Bazillen durchsetzt - beinah' lebensgefährlich. Sie sollten sich möglichst kurze Zeit hier aufhalten, mein Herr, wenn man es nicht gewöhnt ist, kann der Aufenthalt hier die übelsten Folgen haben — also, was ich sagen wollte, die Eingeborenen leben von der Luft, Fremde meiden unsre Stadt und die Gastwirtc beziehen ihren knappen Bedarf entweder aus Erfurt oder Leipzig. Reinweg verhungern könnte man, wenn die Leute nicht noch Licht brennen und waschen müßten, Sie haben ja gehört, was verlangt wurde — Faßseife und Petroleum, und wenn's hoch kommt, ganz gemeine Talglichter, und dazu muß man Laden und Personal halten.”
„Hm, wenn Sie bei einem so miserablen Geschäft existiren, müssen Sie ganz hübsch was zuzusetzen haben?”
Herr Felix Bauer Nachfolger schlug eine helle Lache auf.
„Zuzusetzen — lieber Gott! Nicht einen roten Heller, — wie ich Ihnen sagte, ein einzelner Mann verhungert nicht gerade — dagegen, — und er schielte nach dem Trauring an Fallbeins fleischiger Hand — ist für einen verheirateten Mann, und wenn er etwa gar noch Kinder haben sollte, selbst bei einigem Vermögen, der Ruin unausbleiblich!”
Herr Fallbein stand auf. Er mußte an sich halten, um sich nicht vor Vergnügen zu schütteln und einen hellen Juchzer auszustoßen. Aber daß seine immer noch hübschen graublauen Augen mit den dunkeln Wimpern hell aufleuchteten und ein nicht mehr zurückzuhaltendes Lächeln seinen Mund verzog, konnte er nicht hindern. Auch nicht, daß in diesem Augenblick, wie immer, wenn er freundlich und aufgeräumt war, die Aehnlichkeit zwischen ihm und seiner Tochter Elli auffällig zu Tage kam.
Aber ehe Herr Felix Bauer sich noch über diese Aehnlichkeit klar zu werden imstande war, hatte der Fremde mit einem kurzen Dank und dem Bemerken, daß er schnurstracks zur Bahn wolle, um diesem vertrackten Nest je eher, je lieber, den Rücken zu kehren, das Privatkontor und gleich darauf auch den Laden verlassen.
Auf den Steinstufen vor seinem Geschäft stehend, sah Herr Felix Bauer den so erfolgreich abgegraulten Konkurrenten über den Marktplatz eilen, aber seltsam, er konnte trotz seines Sieges, einstweilen wenigstens zu keinem rechten Gefühl der Befriedigung kommen. Sein Verstand sagte ihm, daß er zweifellos auf dem Posten gewesen sei und, wie es Pflicht jeden tüchtigen Geschäftsmannes war, sich seiner Haut gewehrt habe. In irgend einem Winkel seiner Seele aber saß ein dunkler Instinkt, der ihm zurannte: Du hast eine elende Dummheit gemacht.
In eben demselben Augenblick brachte ihm der Postbote einen Brief von seiner angebeteten Elli. Beim Anblick der niedlichen Krakelfüße war der aus dem Felde geschlagene Konkurrent mit allem Zubehör von hellen und dunkeln Instinkten vergessen. Der glückliche Empfänger preßte seine Lippen auf den Briefumschlag, den heut gar eine Zwanzigpfennigmarke zierte, so daß er sicherlich reichen Iuhalt vergrach, Dann riß Herr Felix Bauer Nachfolger mit einem schnellen Griff das Kouvert voneinander: acht engbeschriebene Seiten und zwischen den Blättern — ja, war er denn von Sinnen — die Photographie des Mannes, den er über eine Stunde lang auf das raffinirteste belogen hatte. Sah er plötzlich Gespenster, oder hatte er vorher welche gesehen? Narrte ihn sein sonst so scharfes Auge, oder machte sich Elli einen Scherz mit ihm, dessen Sinn er erst begreifen würde, wenn der Brief gelesen war?
Dem sonst fast altmodisch unnervösen Mann tanzten schwarze Punkte vor den Augen; es schwante ihm etwas von einer ungeheuren, nie wieder gut zu machenden Dummheit. Dann begann er den Brief zu lesen.
„Mein geliebter Felix, da die Aussicht auf Deinen Besuch bei uns durch Papas entsetzliche Antipathie gegen Dich immer wieder hinausgeschoben wird, will ich wenigstens Deinen Wunsch erfüllen, und Dir nach und nach die Bilder meiner Familie schicken, damit Du sie wenigstens auf diese Weise kennen lernst. Ich fange mit Papa an, obwohl gerade er es am wenigsten verdient —”
Herr Felix Bauer stieß einen halb stöhnenden, halb pfeifenden Laut aus, stopfte Brief und Bild wie einen Knäuel in seine Rocktasche, riß die Uhr aus seiner Weste und die Ladenthür aus den Angeln und rief mit einer so fürchterlichen Stimme nach Rock und Hut, daß das gesamte Geschäfts- und Hauspersonal zusammenlief.
Kaum hatte ihm der Lehrling in den Rock geholfen, als er, zum äußersten Erstaunen seines ihm nachstarrenden Personals, auch schon über den Marktplatz gestürzt und ihren Blicken entschwunden war.
Schweißtriefend traf er in den Bahnhofsanlagen ein. In der offenen Restaurationshalle sah er schon von weitem Herrn Fallbein sitzen und behaglich schmunzelnd ein Glas Münchener trinken. Und wie er näher kam und das freundliche Licht in den graublauen Augen des Mannes sah, hätte er sich für seine Eselei vor den Kopf schlagen können. War er denn blind gewesen, daß er die Aehnlichkeit zwischen diesem Gesicht und seiner Elli nicht auf den ersten Blick gesehn hatte? Und nun ging er langsam näher und trat an den Tisch des Mannes, der über sein plötzliches Auftauchen gar keine besondere Verwunderung verriet, und ganz gemütlich zu ihm aufsehend meinte, daß er das Bier am hiesigen Platz denn gar zu schlecht gemacht habe, und das gut gehaltene Münchener ihm ganz ausgezeichnet schmecke. Ob er nicht Zeit habe sich auf ein Viertelstündchen zu ihm zu setzen und ihm bis zum Abgang des Zuges Gesellschaft zu leisten?
Herr Felix Bauer Nachfolger stotterte etwas, was Herr Fallbein durchaus nicht verstand. Verwundert sah er den vorher so sichern und gewandten Menschen an. Sollte er am Ende nachträglich Lunte gerochen haben und seine Offenheit bereuen?
„Na, na, was ist denn mit Ihnen, Sie sind ja plötzlich so verstört.
„Ich — das macht — o, Herr Fallbein — was müssen Sie von mir denken?”
Herr Fallbein lachte. Also doch! Es war, wie er gedacht hatte.
„Aha — mir scheint, es ist Ihnen nachträglich ein Seifensieder aufgegangen — und nun thuts Ihnen leid, mir die Wahrheit gesagt zu haben. Lassen Sie's gut sein, der alte Fallbein wäre doch dahinter gekommen, selbst wenn Sie sich noch so viel Mühe gegeben hätten, ihm etwas aufzubinden.”
„Aber das ists ja gerade, Herr Fallbein — ich habe Ihnen etwas aufgebunden — alles sogar — von A bis Z, weil — weil — ich Sie für einen Konkurrenten hielt und ich mich nicht verdrängen lassen wollte, um keinen Preis, jetzt weniger denn je, wo ich — — Sie wissen es ja — nicht nur für meine, sondern für die Zukunft einer jungen geliebten Frau sorgen wollte. — Und nun — so gut ichs auch im Sinn gehabt, Sie werden mir das nie vergeben.”
Herr Fallbein lachte noch immer. Lachte so heftig, daß ihm das Naß in die Augen schoß. Es gefiel ihm über die Maßen, daß dieser junge Mensch so schneidig aufgetreten war und ihn so gründlich reingelegt hatte. Der wirds mal zu was bringen, dachte er bei sich. Das ist ein Geschäftsmann, wie er im Buche steht, und ein Schwiegersohn für Gottlieb Fallbein.
Aber so leichten Kaufs sollte er denn doch nicht davon kommen. Ein bischen wollte er ihn noch zappeln lassen und seinen Denkzettel sollte er auch schon kriegen.
So bezwang Herr Fallbein seine fröhliche Laune und setzte seine bärbeißigste Miene auf, schüttelte den Kopf und sagte ingrimmig:
„Sie haben recht, vergeben werde ich Ihnen das nie. Da aber der Zug, mit dem ich dieses Nest verlassen wollte, wie Sie sehen, soeben aus der Bahnhofshalle fährt, werden Sie mir für die Zeit, die ich noch hier zu bleiben gedenke, als Führer zur Seite stehen. Das mag Ihre Buße sein und gleichzeitig eine Rechtfertigung für die so schwer von Ihnen verläumdete Stadt. Es ist setzt 5 Uhr 27 Minuten. Es bleibt uns also heute noch vollauf Zeit, mich über die kommunalen Angelegenheiten, die Verpflegungs- und Vergnügungsverhältnisse hiesiger Stadt wahrheitsgemäß zu orientiren. Morgen früh kommen dann Ihre Geschäftsbücher an die Reihe. Wenn alles klappt, kann ich den Mittagszug nach Berlin benutzen. Kommen Sie. Es kann gleich losgehen . . . . Ueber die Bierfrage bin ich beruhigt, jetzt wollen wir mal ein Stück Rindfleisch kaufen gehn, dann können Sie mich in die Apotheke, von da ins Krankenhaus und dann auf die Feuerwache führen. Abends gehen wir ins Theater, wo heut, wie ich ich aus dem Anschlag ersehen habe,„Madame Sans-Gène” gegeben wird. Mehr kann der Mensch nicht verlangen, und dann wird im„Roten Ochsen” zu Nacht gegessen, da ich mich von der Leistungsfähigkeit der „Goldenen Henne” bereits heute Mittag überzeugt habe. Morgen früh kommen dann, wie gesagt, Ihre Geschäftsbücher und zuletzt die Schulen an die Reihe. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit und in sieben bis acht Jahren —”
Herr Fallbein räusperte sich und sah seinen Schwiegersohn — denn Felix Bauer Nachfolger und kein anderer wurde es, das stand jetzt bei ihm fest, und wenn er Elli mit Gewalt hätte aufs Standesamt schleppen müssen — von der Seite an.
Der war puterrot gewordeu, sagte aber noch immer kein Wort. Das wird sich auch wieder finden, dachte Herr Fallbein und schritt rüstig aus.
Mittagszug 2 Uhr 35 Minuten war zu Fallbeins außerordentlicher Befriedigung und unter seinem sich stetig steigernden Beifall, der bei der Durchsicht der Geschäftsbücher des Hauses Felix Bauer Nachfolger seinen Höhepunkt erreichte — das Programm bis auf die Schulen abgearbeitet worden.
Aber Herr Fallbein tröstete sich. Bis seine Enkel schulpflichtig wurden, würde er ja immer noch Zeit haben, die Anstalten auf ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen. Das stand ja ohne dies in ihm fest, daß er die Sommermonate in dem idyllischen Bergstädtchen bei seiner Tochter verbringen würde, um sich in der reinen Luft von den Berliner Bazillen zu erholen.
Fünf Minuten vor Abgang des Zuges stieg er mit seinem Schwiegersohn, den er erst zu guterletzt über diese seine Würde verständigt hatte, ins Kupee, nachdem er vorher seiner Tochter Elli telegraphirt hatte, pünktlich 7 Uhr 40 Minuten mit der Mutter und ihrem lustigsten Gesicht auf der Bahn zu sein, da er einen Gast mitbringe.
Welche Szene sich dann bei der Ankunft der beiden Herren auf dem Perron des Anhalter Bahnhofs abgespielt hat, bedarf weiter keiner Beschreibung. So viel aber steht fest, daß Herr und Frau Fallbein diesen Sommer in Thüringen verbringen werden, und wenn sie ihren Aufenthalt noch bis zum Frühherbst verlängern solltem, so blüht Herrn Fallnein das Vergnügen, als wohlbestalter Großpapa seinen Wiedereinzug in der Reichshauptstadt zu halten.
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